Patientin aus München reist ab
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Am Ende des Tages bleiben zwei Erkenntnisse:
- Bisher ist es nicht möglich gewesen den gewünschten Kausalnachweis zu erbringen
- Patienten stehen dem Behandlungserfolg gelegentlich selbst im Wege
Was ist passiert, sozusagen in der Nachspielzeit!
Es stellt sich auf einmal heraus, dass die Patientin seit Jahren im hinteren linken Unterkieferseitenzahnbereich ein bis zwei Zähne hat, die ihr immer wieder Beschwerden verursachen, sie damit regelmäßig zu ihrem Zahnarzt gelaufen ist und dieser erklärt, da sei nichts.
Nach Aufklärung schwant der Patientin, dass Zähne die nicht schmerzfrei belastet werden können, möglicherweise erst dazu führen, dass der Unterkiefer beim Zusammenbeißen reflektorisch verschoben wird und damit erst funktionelle Beschwerden in der Kiefermuskulatur und in den Kiefergelenken entstehen.
Bei genauerer Betrachtung eines mitgebrachten Röntgenbildes stellt sich heraus, dass dieses bereits eineinhalb Jahre alt ist, aber zur Klärung der hier zu klärenden Fragen nicht verwendbar ist. Wenn dieses Problem ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, hätten wir es angesprochen. War es aber nicht, denn selbstverständlich geht man bei einer engagiert dynamischen Patientin davon aus, dass diese aktuelle Unterlagen mitbringt.
Natürlich meinte die Patientin, dass Strahlenbelastung durch Röntgen möglichst gering ausfallen sollte. Zum Problem wird das aber dann, wenn mit Unterlagen gearbeitet wird, die schlichtweg veraltet sind.
Nun mag man selbstkritisch anmerken, dass das doch hätte auffallen müssen. Ist es aber nicht, zumal dann, wenn Patienten meinen zu wissen, was der Arzt braucht, um korrekt untersuchen zu können.
Für die Frage, ob mit den beiden Zähnen im Unterkiefer etwas passieren muss, und zwar im Zusammenhang mit der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik ist es dabei eher von untergeordneter Bedeutung, was auf dem Röntgenbild zu sehen ist, sondern mehr, wie sich der klinische Zustand präsentiert, aber zur weiteren Entscheidungsfindung und Abwägung wäre es besser gewesen ein aktuelles Röntgenbild zu erstellen.
Auf den letzten Drücker eines zu machen, war auch nicht mehr sinnvoll, denn die Information, dass es ein bis zwei Zähne gibt, die unter dem Verdacht einer Chronischen Pulpitis stehen, sind wir dann in der Nachspielzeit noch gekommen. Auch wäre keine Möglichkeit gewesen in diesen guten zwei Tagen noch Wurzelkanalbehandlungen durchzuführen.
Die Patientin verlässt Kiel gut instruiert und um eine wichtige Erkenntnis reicher. Es bringt die Sache nicht vorwärts, wenn der Patient Vorstellungen hat, wie seiner Meinung nach in seinem Fall die Zusammenhänge sein müssten, dabei aber durch Vorgaben selbst Probleme in den Fall bringt, die es gar nicht geben würde, wenn er sich einfach und unvoreingenommen auf die Untersuchungen einlassen würde.
Insofern bleibt folgendes festzustellen: Zurzeit ist eine abschließende Beurteilung des Falles nicht möglich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass chronisch entzündliche Zahnnerven in zwei Molaren einen Effekt verursachen, der dann nachfolgend zu funktionellen Beschwerden führt. Derartige Fälle kommen regelmäßig vor. Was es hier so schwer gemacht hat, dass diese Information erst ganz am Ende gekommen ist und man leider auch nicht weiß, ob sich diese Vermutung möglicherweise schon radiologisch darstellen ließe.
Aber selbst wenn nicht, kann ein Zahn der aufbissempfindlich ist dann nicht so belassen werden, wenn ein Patient funktionelle Beschwerden entwickelt, weil man nicht ausschließen kann, dass die funktionellen Beschwerden Folgewirkung der langjährigen Aufbissempfindlichkeit sind.
Was wiederum nicht bedeutet, dass es einen Zusammenhang geben muss. Man wird es aber nur dann herausfinden, wenn man die aufbissempfindlichen Zähne behandelt.
In jedem Fall zeigt sich, dass es dem Patienten nicht weiterhilft, dessen Erklärungsmodellen zu folgen, sondern man gut beraten ist eng an den medizinisch gesicherten Erkenntnissen dran zu bleiben, was aber auch nicht bedeutet, dass das zwangsläufig dazu führen muss, dass eine Kausalität zwischen Beschwerden und zweifellos vorhandenen Störungen der Okklusion bestehen.
Für die Erkenntnis der Diagnostik war das heute ein kleiner Schritt nach Vorne. Ob es für die Patientin möglicherweise ein großer Schritt in Richtung Beschwerdefreiheit sein könnte, liegt jetzt in der Hand der Patientin. Die Fragen von Harmonien und Disharmonien im Kauorgan, ob hier Geraden oder Kurven liegen sind naturwissenschaftlich nicht zu klären.
Die Frage, ob möglicherweise Chronische Pulpitiden in zwei Backenzähnen etwas mit den Beschwerden der Patientin zu tun haben könnten, hingegen schon.
Eines steht auch in diesem Falle fest. Patienten mit chronischen Schmerzbildern haben häufig sehr genaue Vorstellungen, wo ihrer Meinung nach Zusammenhänge bestehen müssten und was der Arzt nur tun müsse, um diese Beschwerden zu beseitigen.
Das Problem ist allerdings, dass sich noch nicht in einem einzigen Fall herausgestellt hat, dass die Angaben des Patienten sich in ein konkretes und reproduzierbares Behandlungssubstrat haben umsetzen lassen. Das mag möglicherweise daran liegen, dass der Behandler keine Ahnung hat, oder es einfach nicht besser weiß. Ein Eindruck des Patienten, der sich beim Behandler durchaus gelegentlich einstellen kann.
Es kann aber auch einfach daran liegen, dass die Vorstellungen des Patienten schlichtweg nicht stimmen.
Mit Verlaub gesagt, aber diese gewagte Aussage muss man sich dann erst einmal trauen, denn auch dieser Satz bleibt regelmäßig nicht aus: "Niemand kennt meinen Körper so gut wie ich. Schließlich laufe ich ja seit Jahren mit diesen Schmerzen durch die Welt." Was zweifelsohne stimmt. Genauso stimmt aber auch, dass der Patient sich bisher mit seinen Vorstellungen einer korrekten Behandlung nirgends Gehör verschaffen konnte und bedauerlicherweise auch nicht in der Lage ist sich selbst zahnärztlich zu behandeln.
Die Richtigkeit dieser eigenen Vorstellungen des Patienten, was ihm bestimmt helfen würde, wenn der Arzt es nur täte, ist es aber häufig, was diese Patienten am Durchhalten, gelegentlich sogar am Überleben hält.
Trotzdem ist es nicht die Aufgabe des Arztes diesen Gedanken zu folgen, wenn diese im Widerspruch zu den geltenden medizinischen Erkenntnissen und den eigenen persönlichen Erfahrungen stehen.
Wenn Zähne seit Jahren klinisch nicht belastungsfähig sind und die Möglichkeit der Beeinflussung einer funktionellen Symptomatik besteht, dann macht es keinen Sinn den Aufbissbehelf auf den letzten Mikrometer einzustellen und über die Harmonie im Kauorgan nachzudenken, sondern dafür zu sorgen, dass nicht belastbare Zähne so behandelt werden, dass sie belastbar werden. Und sei es nur erst einmal zur Diagnose einer CMD. Dass dabei der Zahn 36 schon im Röntgenbild den Eindruck hinterlässt, dass er eine Wurzelkanalbehandlung vermutlich nicht überstehen dürfte und entfernt werden muss, macht die Sache nicht einfacher. Dann beginnen neue Überlegungen.
Der Fall ähnelt ein wenig, wenn auch mit einem Altersunterschied von guten2 Jahrzehnten dem dieser Patientin.
Was allerdings voraussetzt, dass der Arzt überhaupt mitbekommt, dass der Patient derartige Probleme hat, denn der Patient wiederum erkennt gar nicht die Problematik des Befundes, war er doch seit Jahren damit bei seinem Hauszahnarzt, der immmer wieder erklärt hat, das sei vollkommen normal.
Auch das ist einer der Gründe, warum es wenig Sinn macht die Geschichte des Patienten zum Mittelpunkt der Erhebung seiner Krankengeschichte zu machen und statt dessen den Fokus auf das zu richten, was den Behandler interessiert. Das aber ist nicht immer ganz leicht den Patienten klar zu machen, die doch selbst am besten wissen, was Ihnen helfen wird.
Man mag einwenden, dass diese Erkenntnisse möglichweise für diese Diagnostik ein wenig verspätet erfolgen. Man kann aber auch sagen: Wenigstens steht diese Erkenntnis jetzt im Raum und kann abgearbeitet werden! Das ist schon zumindest eine Erkenntnis mehr, als die Vorbehandlung bisher erbringen konnte.