Patientin aus Itzehoe mit einer interessanten Erkenntnis ganz allgemeinmedizinscher Art
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An diesem Behandlungsfall kann man wunderbar zeigen, was es mit dem Begriff der Abwägung in der Medizin auf sich hat.
Die Patientin hat nach OPG Befund einen Hinweis auf einem möglichen entzündlichen Prozess in ihrem Kiefer und befgindet sich wegen einer Kerzklappenerkrankung gleichzieitig in einem unentwegten Screening, was entzündliche Prozesse in ihrem Körper betrifft.
Hierzu werden wir auch einen Audio Podcast Beitrag erstellen, weil es zu langwierig wäre hierzu einen umfangreichen Text zu verfassen.
Röntgenbefunde September 2019
Worum geht es?
An Zahn 45 liegt eine kleine, aber erkennbare Aufhellung, hier im Röntgenbild als schwarzer Fleck an der Wurzelspitze zu erkennen, vor.
Die Patientin ist 73 Jahre alt und hat einen Herzklappenersatz.
Ziel aller herzbedingten Bemühungen ist es daher, dass keine nennenswerten Entzündungsmarker im Körper nachweisbar sind.
Nun fragt man sich, ob dieser kleine schwarze Fleck an der Wurzelspitze 45 einen aktiven Entzündungsprozess darstellt, oder aber vielleicht einen radiologischen Artefakt, oder aber vielleicht das Ergebnis einer alten nunmehr stagnierenden Entzündung im Kieferknochen sein könnte.
So genau weiß das nämlich Niemand und entgegen allgemeinem Irrglauben lässt sich das auch weder durch ein Röntgebild, eine Computertomographie, geschweige denn eine Kernspintotmographie nachweisen. Das sei insbesondere alle denen gesagt, die glauben mit der neuen, sprich digitalen Medizin sei nun aber auch wirklich alles möglich und aufklärbar.
Die Patientin selbst hat überhaupt keine Beschwerden in diesem Bereich und die Kontrolle älterer Röntgenbilder zeigt einen ähnlichen Röntgenbefund!
Was tun? Gerade auch in Hinblick auf die herzbedingte Situation der Patientin?
Es gilt einfach erst einmal abzuwägen und den Sachverhalt mit der Patientin zu besprechen.
Genau das haben wir getan und gemeinsam beschlossen doch einfach den demnächst anstehenden herzbedingten Entzündungsscreen abzuwarten und dann neu zu entscheiden.
Als jüngerer Zahnarzt, den Verfasser dieses BLOGS eingeschlossen, neigt man spontan eher zu folgendem Vorgehen: "Da stimmt was nicht und gerade wegen der Herzproblematik muss da sofort etwas passieren. Das Einzige, was da natürlich passieren kann ist ein operativer Eingriff! Entweder mit dem Versuch den Zahn zu erhalten, heißt Wurzelspitzenresektion, oder aber gar den Zahn mit der möglichen Entzündungsquelle zu entfernen."
Das hat man ja auch zigmal so gemacht und am Ende steht man dann mit einem Röntgenbild da, in dem man nach einer durchgeführten Wurzelspitzenresektion zu erkennen vermag? Ja, einen schwarzen Fleck im Röntgenbild, und zwar noch größer, als vor dem Eingriff. Nach der Entfernung des Zahnes natürlich noch einen größeren schwarzen Bereich im Röntgenbild, nämlich dort, wo der Zahn 45 mal gestanden hatte.
Wenn man Glück hat, hat der Patient nach dem Eingriff keine Beschwerden. Die hatte er allerdings vor dem Eingriff auch nicht!
Wenn man dann inzwischen etwas älter und berufserfahrener geworden ist, und man derartige Situationen zigmal operiert hat, kann es gute Gründe geben sich dem Thema anders zu nähern.
Wir nehmen erst einmal zur Kenntnis: Die Patientin ist 73 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei Frauen bei noch guten 15 Jahren.
Die Patientin ist vollkommen beschwerdefrei, was mit 73 Jahren auch nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Nun rief die Patientin vor wenigen Tagen an und erklärte: Herzentzündungsscreen habe ergeben: Keinerlei Entzündungsmarker nachweisbar!
Man kann aus diesen kurzen Information nun mehrere Erkenntnisse ziehen.
- Es ist nicht klar, ob es sich bei dem schwarzen Bereich im OPG überhaupt um einen akut entzündlichen Prozess handelt.
- Selbst wenn es sich um einen entzündlichen Prozess handeln sollte, scheint es so zu sein, dass dieser keine systemische Wirkung im Körper entfacht, denn sonst wäre er nachweisbar.
Was bleibt also nun die greifbare Erkenntnis dieses Vorgangs?
Es macht häufig erst einmal Sinn abzuwägen und den Vorgang zu besprechen und nicht gleich operativen Aktionismus zu entfachen.
Was tun wir jetzt?
Wir warten einfach ab, raten der Patientin regelmäßig, sagen wir mal einmal im Jahr eine Röntgenkontrolle durchführen zu lassen, und abzuwarten.
Und die Röntgenkontrollen?
Wir erinnern uns! Die Patientin ist 73 Jahre alt und selbst wenn wir sie jedes Jahr einmal nachröntgen sollten, wird die Patientin daran mit Sicherheit nicht versterben, denn auch hier gilt es abzuwägen.
Welchen Sinn sollte es machen die Patientin in diesem Alter vor Röntgenstrahlen zu schützen, gleichzeitig aber hinzunehmen, dass ein nicht erkannter Entzündungsherd, der dann wiederum vielleicht dann doch systemische Wirkung entfachen könnte, am Ende zu einer Herzblattentzündung führt, an der die Patientin dann möglicherweise stirbt, weil man diese Entwicklung eben nicht durch ein Röntgenbild erkannt und angesprochen hat. Eine Entzündung kann sich nämlich auch ganz woanders im Kieferknochen bilden.
Wie sagt die Mutter von Forrest Gump so schön: "Der Tod gehört zum Leben dazu", und das gilt für uns alle und deshalb wird auch diese Patientin irgendwann so oder so,vermutlich aber hochbetagt, versterben, denn wir erinnern uns:
"Das Leben ist gefählich und endet immer tödlich!"
Bis dahin aber sollte man sich in jedem Einzelfall tunlichst überlegen, ob es sinnvoll istjeden schwarzen Fleck im Röntgenbild zu operieren.
Und das ist dann wirklich ein Thema, über das man reden sollte, auch wenn es scheinbar nur noch ein Thema zu geben scheint, dass die Welt vermeintlich brenne!