Patientin aus Flensburg zur Abschlussuntersuchung
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Die Behandlung der Patientin ist aufgrund einer Komplikation zwar noch nicht 100% abgeschlossen, aber doch unter funktionellen Gesichtspunkten.
An einem Zahn muss noch eine Wurzelkanalbehandlung abgeschlossen werden, verbunden mit einer nachfolgenden mehrmonatigen Erprobung der Wurzelfüllung und dann abschließend einer neuen Krone.
Darüber hinaus aber ist die Patientin vollkommen beschwerdefrei: Beschwerdelevel: 0.
Über das positive Behandlungsergebnis heraus zeigt dieser Fall aber noch etliche andere Facetten, an denen sich mehrere der Probleme der funktionell orientierten Zahnheilkunde festmachen lassen.
Geht man von einer medizinisch orientierten Schwarz-Weiß-Zahnmedizin aus, hätte man diesen Fall nicht lösen können.
Warum?
Weil wir auf wurzelkanalbehandeltet Zähne zurück greifen mussten, bei denen man nicht ganz 100% sicher ist, ob die Behandlung mit einem 100% korrekten Behandlungsergebnis abgeschlossen werden konnte, oder eben nur vielleicht mit einem 90% igen.
Aber, der Fall dieser Patientin ist voller Kompromisse und das ist der Patientin bewusst.
Alles beginnt schon damit, dass die Patientin bis heute kein Gefühl mehr in der linken Unterlippenhälfte besitzt, weil bei einer Wurzelspitzenresektion, die in einer Vorgängerpraxis an einem Zahn 36 durchgeführt wurde, offensichtlich der nervus alveolaris inferior beschädigt worden ist.
Bei den Implantationen in regio 46 war eine andere Konstellation der beiden Implantate geplant, nur leider ist das Hauptimplantat nicht eingewachsen, dafür aber dann das zweite Hilfsimplantat.
Das erklärt die etwas ungewöhnliche Winkelung der beiden Implantate zueinander. Klinisch ist das ohne Belang und der Bereich so gestaltet, dass er für die Patientin gut reinigbar ist.
Die größten Probleme bereiten die wurzelkanalbehandelten Zähne 37, 46 und 47. Umgangssprachlich ausgedrückt: Es sieht nicht so aus, wie man sich das im Röntgenbild aus zahnärztlicher Sicht wünschen würde, dass es optimal aussehen möge, aber eben auch nicht so, dass man sagen könnte: Da stimmt was nicht, der Zahn muss raus.
Dabei ist die Vorgehensweise röntgenologisch folgende und auch für den interessierten Laien interessant.
Erst wird ein Übersichtsröntgenbild (OPG) erstellt und wenn hier etwas auffällt, dann mit einem Einzelzahnfilm (EZF) nachgeschossen.
Dabei ist folgendes interessant: Die Strahlenbelastung des OPG ist geringer, als die eines EZF.
Ein OPG ist immer ein Überlagerungsröntgenbild, weil sich das Gerät um den Patienten bewegt.
Ein EZF ist immer überlagerungsfrei und damit das aussagefähigere Röntgenbild.
Zu erwarten ist natürlich, dass ein Befund, der schon im OPG erkennbar ist, in dem darauf geschossenen EZF umso deutlicher erkennbar ist.
Das ist auch meist so. Aber eben nicht immer.
Und so ist es bei dieser Patientin:
Im OPG sind Befunde erkennbar, man nennt es Aufhellungen (im Röntgenbild als schwarze Stelle erkennbar). Im EZF ist aber dieser Befund eben gerade nicht noch deutlicher erkennbar, sondern wenn überhaupt in abgeschwächter Form.
Nun steht der Behandler da und weiß nicht so recht, was er davon halten soll.
Einfach mal reinbohren und nachschauen kann er ja nicht.
Und nun beginnt eben etwas, was häufig viel zu wenig getan wird: Es gilt abzuwägen.
Abzuwägen, ob man mit Strukturen weiterarbeitet, die zwar nicht mehr ganz koscher aussehen, aber problemlos funktionieren, und die man sicherlich permanent im Auge behalten muss, oder aber Lehrbuchmedizin zu betreiben und alles raus zu reiße, was eben nicht ganz koscher erscheint, aber möglicherweise noch viele Jahre lang ohne subjektive Probleme seinen Dienst leisten würde.
Will sagen: Nur weil an einem Auto eine Rostbeule irgendwo einem schlecht zugänglichen Schweller vorliegt, muss man nicht gleich das Auto verschrotten. Wenn man aber nun, um an diese Stelle heranzukommen das Auto auffräsen muss, also jede Menge Kollateralschäden produziert, um an den eigentlichen Defekt zu kommen und dann feststellt, dass da nur ein bisschen Flugrost war, dann ist das hochgradig ärgerlich.
Und genauso verhält sich das in der Beurteilung derartiger Probleme. Wenn da nichts wäre, will sagen alles sieht so aus, wie es in einem Röntgenbild aussehen soll, dann würde man ja gar nicht darüber nachdenken.
Fehlerbeseitigung um der Fehlerbeseitigung ist sicherlich ein Arbeitsprinzip. Macht nur Niemand im täglichen Leben, weil jeder weiß, dass selbst die teuerste Küche nach kurzer Zeit den ersten Kratzer hat, oder eben auch das neue Auto. Damit leben wir und letztendlich ist das in der Zahnmedizin nicht anders.
Bei einem CMD Patienten geht es aber eben nicht nur darum, dass in einem Röntgenbild alles schön koscher aussieht, sondern auch noch darum, dass der Patient seine funktionellen Schmerzen los wird.
Das ist doch der eigentlich Zweck der medizinischen Behandlung gewesen.
Die Einstellung der Bisslage setzt aber knöchern verankerte Fundamente voraus: Seien es Zähne, oder aber weil diese nicht mehr zur Verfügung stehen dann Implantate.
Selbst wenn man beihilfefähig und privatversichert ist, gibt es hier aber Beschränkungen: Maximal zwei Implantate pro Kiefer, wenn noch Zähne da sind, maximal vier Implantate im zahnlosen Kiefer.
Dann spielt es eine Rolle, was der Patientin wirtschaftlich zu leisten vermag, in welchem Maße medizinisch zwar sinnvolle Abläufe in die zeitlichen Gegebenheiten eingepasst werden können.
Und in der Betrachtung all dieser Abläufe kommt es zu Abwägungen und Kompromissen. Kompromisse stellen aber immer kalkulierte Risiken dar.
Wir hatten mal eine Patientin, die eigentlich mehr Lebensgefährtin war und heute verheiratet in Bochum lebt, die hatte ein bemerkenswertes Lebensmotto:
"Ich gehe immer dann ein Risiko ein, wenn ich vorher weiß, dass es sich hinterher für mich lohnen wird!"
Meine damalige Antwort war: "Wenn ich schon vorher weiß, dass sich am Ende etwas für mich auszahlen wird, dann sei es doch aber kein Risiko mehr!"
Und an diesem Beispiel ist ganz konkret das Dilemma derartiger Situationen beschrieben.
Wenn sich das Risiko für den Patienten auszahlt, war es ein gutes Risiko, denn man hätte den Patienten ja auch lehrbuchmäßig behandeln können. Hat man aber aus einer oder mehreren der oben angeführten Punkte nicht getan.
Wenn das Risiko dann aber eben nicht aufgeht, dann kann es eben auch nicht sein, dass der Arzt Schuld hat.
Und deshalb werden diese Dinge mit dem Patienten nicht nur besprochen, saondern auch gemeinsam eine Entscheidung gefällt und diese dokumentiert.
Wir haben uns entschlossen an Zahn 46 eine WSR durchzuführen und die laufende Wurzelkanalbehandlung im Oberkiefer langsam voranzutreiben in Verbindung mit langen, mehrmonatigen Wirkzeiten der ein eingesetzten Medikamente und einer mehrmonatigen Liegezeit der irgendwann zu installierenden Wurzelfüllung.
Und das Hauptziel während all dieser Behandlungen besteht darin, dass die Patientin immer schön beschwerdefrei und bei einem Beschwerdelevel: Null verbleibt.
Denn genau das was das Ziel der gesamten durchgeführten Behandlung.