Patientin aus Berlin ist schwanger und was das für eine laufende CMD Behandlung bedeutet!
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In diesem Fall wird die gesamte Tragweite und Bedeutung funktioneller Erkrankungen des Kauorgans deutlich und sichtbar, und eben auch all die Probleme, mit denen Ärzten in einer verrechtlichten Gesellschaft tagtäglich zu kämpfen haben und gut beraten sind sich diese Strukturen und deren mögliche Konsequenzen vor Augen zu halten.
Was ist geschehen?
Im Jahr 2016 hat uns die Patientin erstmalig mit funktionellen Beschwerden aufgesucht.
Nachdem eine CMD diagnostiziert werden konnte hat die Patientin sich zu Einstellung der Bisslage unter wirklich ungünstigen intermaxillären Verhältnissen zur Behandlung vorgestellt.
Tatsächlich wurden dann im Jahr 2017 Laborgefertigte Dauerprovisorien eingegliedert mit einer geplanten Erprobungszeit der Bisslage von 6 bis 9 Monaten.
Ende 2017 hätte dann die definitive Sanierung erfolgen sollen, hat sie aber auf Betreiben der Patientin nicht.
Nachdem die Dauerprovisorien nutzungsbedingt immer größerer Schäden aufwiesen und damit die definitive Versorgung mehr oder weniger zwangsläufig unaufschiebbar wurde hat die Patientin dann im Oktober 2018 mit der definitiven Einstellung der Bisslage begonnen. Man könnte auch sagen, abnutzungsbedingt beginnen müssen.
Am nächsten Montag sollten im Unterkieferseitenzahnbereich die ersten 8 definitiven, zahntechnische Restaurationen eingegliedert werden.
Das Problem: Dazu bedarf es vielfacher Anästhesien und damit sind wir beim Thema.
Das Thema lautet: Zahnärztliche Behandlungen innerhalb der Schwangerschaft.
Man muss nicht studiert habe, um zu ahnen, da könnte es ein Problem geben.
Und das gibt es auch, denn stellen wir uns einmal vor die Patientin, die sowieso schon altersbedingt eine Risikoschwangerschaft durchläuft bekommt, ein Kind mit einer Behinderung oder möglicherweise eine Fehlgeburt.
Was dürfte die erste Überlegung sein?
Ist in der Schwangerschaft irgendetwas passiert, was nicht hätte passieren sollen oder müssen!
Es wird nicht lange dauern, bis ein findiger Rechtsanwalt die Frage aufwirft, ob denn wirklich auszuschließen sei, dass möglicherweise die Spritzen beim Zahnarzt die Ursache der Behinderung oder des Abganges sein könnten.
Nun dürfte es kaum verwundern, dass es dazu keine Studien gibt, denn das würde bedeuten, dass man zwei Gruppen von schwangeren Frauen benötigt, bei der die ein Gruppe einmal die Woche zahnärztliche Anästhesien erhält und die andere nicht, und man dann am Ende der Schwangerschaft zählt, wie viele behinderte Kinder in jeder der beiden Gruppen geboren wurden.
Man kann ziemlich sicher sagen, dass es derartige Studien nicht gibt und auch nicht geben wird, nicht einmal in Nordkorea.
Da man auf diesem Wege nicht weiterkommt, wird man als nächstes argumentieren, ob man denn dann aus ärztlicher Sicht ausschließen kann, dass es nicht zu einer Behinderung durch zahnärztliche Anästhesien kommen könnte!
Wer will das schon ausschließen?
Also wird er Arzt sich die Frage stellen lassen müssen, ob es denn wirklich nötig war die Behandlung durchzuführen.
Hat es sich um eine sogenannte "MUSS-Behandlung" gehandelt, der aber um eine sogenannte "KANN-Behandlung"?
Nehmen wir mal ein ganz anderes Beispiel.
Wenn eine Schwangere eine Blinddarmentzündung erleidet, wird es keinen Zweifel geben, dass der Eingriff durchgeführt werden musste und selbst wenn am Ende der Schwangerschaft ein behindertes Kind zur Welt kommt, wird Niemand auf die Idee kommen den Arzt zur Rechenschaft ziehen zu wollen, der den Blinddarm entfernt hat, um der Schwangeren das Leben zu retten.
Anders sieht es schon aus, wenn sich eine Schwangere im 5. Monat auf den OP-Tisch legt und eine Brustvergrößerung vornehmen lassen möchte.
Sollte diese Frau am Ende nicht nur mit größeren Brüsten, sondern auch einem behinderten Kind in einem Gerichtssaal auftreten, dürfte es der verantwortliche Arzt schwer haben, dem Gericht darzustellen, dass dieser "KANN Eingriff" wirklich zu diesem Zeitpunkt durchgeführt werden musste und definitiv nichts mit dem beklagten Problem zu tun hat.
Unabhängig von der Klärung der Frage, ob denn nun dieser Eingriff wirklich die Ursache der vorliegenden Kindesschädigung sein dürfte ist davon auszugehen, dass der Arzt schlechte Karten hat, wenn es darum geht die lebenslangen Pflegekosten des behinderten Kindes abwehren zu wollen.
So ähnlich stellt sich das nun bei der Patientin dar. Hier war die Planung eine kontrollierte "KANN Behandlung" durchzuführen. Nun wurden der Patientin schon vor 14 Tagen etliche Anästhesien verabreicht und man weiß nicht genau, ob diese etwas bewirkt haben könnten. Letzten Endes wird das in einer möglichen rechtlichen Auseinandersetzung, und nur um die dreht es sich in dieser Betrachtung, keine Rolle spielen, denn zu diesem Zeitpunkt war dem Arzt der Zustand der Patientin nicht bekannt. Selbst wenn, träfe den Arzt keine Schuld, denn er wusste es nicht und konnte es auch nicht wissen.
Das ist aber nun anders und aus der "KANN Behandlung" wird nun auf einmal auch nicht deshalb eine "MUSS Behandlung", weil die Patientin nur mit provisorischen Versorgungen durch die Gegend läuft, die auf eine Haltbarkeit von 14 Tagen ausgelegt sind, aber möglicherweise auch länger halten könnten. Das weiß man eben nicht.
Dazu gibt es übrigens auch keine wissenschaftlichen Studien, auf die man sich in Gerichtsverfahren gerne beruft, wenn es derartige Dinge zu klären gibt.
Nun verweist die Patientin auf eine Abteilung der Charité in Berlin, an die man ich als Arzt wenden könne, um sich sozusagen von dort die Absolution einzuholen, dass das alles so geht.
Ohne in der Sache Böses denken zu wollen, fällt natürlich schon der Name der webside ins Auge: Embryotox.
https://www.embryotox..de/arzneimittel/details/articain/
Spaßeshalber ruft man dort an und spricht mit einer sympathischen Stimme, die sich nachfolgend als Psychiaterin herausstellt und auf die Stellungnahmen verweist, die man zwanglos auch im Internet nachzulesen vermag. Siehe oben. Nun gehören Psychiater nicht unbedingt zu den Berufskollegen, die dafür bekannt wären operativ tätig zu sein, wie zum Beispiel ein Zahnarzt.
Da steht aber nichts Konkretes drin und "Nein, natürlich bekommt man nichts schriftliches in die Hand und schon gar nicht eine Haftungsfreistellung. Da müsse der behandelnde Arzt schon selbst wissen, was geht und was nicht!"
Das wusste der behandelnde Arzt aber schon vorher und damit ist der Hinweis der Patientin zwar erledigt aber dennoch nicht gelöst.
Und das weiß der hiesige Behandler natürlich schon, dass jeglicher ärztliche Eingriff, und noch mehr die Verabreichung von Medikamenten innerhalb der Schwangerschaft auf das absolut notwendige zu beschränken ist, vor allem im ersten Trimenon, in dem die Gefahr von Organmissbildungen bekanntermaßen am höchsten ist.
Nochmals zusammengefasst: Behandelt man und es kommt ein gesundes Kind zur Welt kräht kein Hahn.
Behandelt man aber und es kommt, aus welchen Gründen auch immer, ein behindertes Kind zur Welt, oder es kommt zu einem sogenannten "Abgang" kann man fast davon ausgehen, dass die Frage aufkommt: Hat der Zahnarzt etwas damit zu tun?
Dabei wird das Problem sein, dass es vermutlich am Ende gar nicht darauf ankommen dürfte, ob es möglich ist den Kausalzusammenhang zwischen zahnärztlicher Behandlung und Missbildung des Kindes zu erbringen, sondern vielmehr darum, dass der Zahnarzt nicht auszuschließen vermag, dass es diesen Kausalzusammenhang geben könnte.
Man ist gut beraten sich hier in die Gedankenwelt von Juristen hinein zu begeben. Ob man will oder nicht.
Was bedeutet das nun Konkret?
Selbst wenn die 8 Unterkieferseitenzähne bereits präpariert und abgeformt sind ist es unabdingbar notwendig die Versorgungen unter Anästhesie einzukleben, oder ist es nicht genauso denkbar damit zu warten, bis wenigstens ins zweite Trimenon, mit einer verminderten Gefahr der Organschädigung des Kindes eintritt? Das wäre vermutlich ab Januar 2019 der Fall.
Ja, das ist denkbar, vermutlich werden aber die Provisorien so lange nicht durchhalten.
Es ist davon auszugehen, dass die Zähne unter diesen nicht dafür gedachten Provisorien Schaden nehmen und Komplikationen auftreten, wie zum Beispiel Wurzelkanalnerventzündungen, die dann zu konkrete "MUSS Behandlungen" führen, wozu Anästhesien unabdingbar sei werden. Auch im ersten Trimenon der Schwangerschaft.
Ist es vertretbar die jetzt anliegenden "KANN Versorgungen" unter Einsatz von Anästhesiemitteln im ersten Trimenon durchzuführen, um mögliche "MUSS Behandlungen" im ersten Trimenon zu verhindern?
Diese Frage dürfte im Zweifelsfall dann ein Gericht beschäftigen, wobei vermutlich zu erwarten ist, dass das Gericht zu der Auffassung kommen würde, dass ja der Nachweis zu führen wäre, dass zum Zeitpunkt der möglichen "KANN Behandlung" wirklich eine "MUSS Behandlung" vor der Tür gestanden hatte, die es zu vermeiden galt. Wie aber sollte der Arzt das nachweisen können? Man sollte nicht vergessen: Richter habe es immer leichter den Fall aus der ex post Perspektive zu beurteilen.
Der Arzt hat es da etwas schwerer, der muss nämlich die Situation aus der ex ante Perspektive beurteilen und da schon alles vorher wissen, und am besten auch zu belegen vermögen, nicht nur was nachfolgend passiert, sondern noch besser passieren würde, wenn....
Je länger man den Fall hin und her wägt, umso deutlicher wird, dass es keine wirklich befriedigende Lösung geben wird und der Arzt gut beraten ist sich wirklich intensiv zu befragen, was hier aus rein medizinischer Sicht in der Abwägung wirklich zu leisten ist und was nicht.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Meinung die, dass zumindest im ersten Trimenon keine "KANN Behandlung" mehr durchgeführt werden sollte. Wenn sich Komplikationen einstellen, wird die "KANN Behandlung" zu einer "MUSS Behandlung". Für den Patienten ist es zwar dasselbe, der bekommt dann so oder so im ersten Trimenon Anästhesiespritzen. Das bedeutet aber eben nicht, dass es auch für den Arzt dasselbe ist. So wird der Arzt, der im ersten Trimenon einen Blinddarm entfernt sich kaum mit einer Schadenersatzklage konfrontieren lassen müssen, der Brustvergrößerungsoperateur hingegen schon. Dabei steht fest: Operiert haben beide.
Und das ist eben das vermutete wirklich Problem des Falles, dass ein Richter zu der Meinung kommen könnte, dass der zahnärztliche "KANN Eingriff" im ersten Trimenon nicht wirklich hätte durchgeführt werden müssen und schon gar nicht zur vermeintlichen Vermeidung eines "MUSS Eingriffes", bei dem man ja nicht wirklich zu belegen vermag, dass dieser wirklich vonnöten gewesen wäre. Denn der "Muss Eingriff" ist ja nicht notwendig geworden, weiol er durch den "Kann Eingriff" verhindert worden ist.
Übrigens, das sei angemerkt: Mit logischen Argumenten wird man hier vor Gericht nicht wirklich weiter kommen, das weiß jeder, der schon einmal das Vergnügen hatte an einem solchen Verfahren teilzunehmen. Und sei es nur als medizinischer Berater einer Partei vor Gericht.
Diese Komplikationen, konkret wird es sich hier um Zahnnerventzündungen handeln, werden aber vermutlich dazu führen, dass die aktuelle "KANN Behandlung" auch im zweiten Trimenon nicht weitergeführt werden kann, weil man eben auf wurzelentzündete Zähne weder Kronen noch neue Dauerprovisorien wird aufkleben können.
Nun wird sich vermutlich die überlange Liegezeit der Dauerprovisorien rächen, die schon heute in einem bemitleidenswerten Zustand sind. Welche weiteren Komplikationen sich daraus dann ergeben könnten, ist unvorhersehbar.
Zu befürchten ist, dass die zunehmenden Komplikationen den bisherigen Behandlungsstand immer weiter zunichtemachen werden, so dass man am Ende der Schwangerschaft behandlungstechnisch praktisch mit leeren Händen dastehen wird.
Was letzten Endes bedeutet, dass der Fall mit all seinen Beschwerden komplett neu aufgerollt werden muss und angesichts der inzwischen eingetretenen Komplikationen mit einem noch höheren behandlerischen und wirtschaftlichen Aufwand bewältigt werden müsste.
Ob die Patientin dazu dann wirklich in der Lage ist, wird man sehen müssen.
Die Vorstellung, man könne eine umfangreiche, zahnärztlich funktionstherapeutische Rekonstruktion des Kauorgans mit einer Schwangerschaft verbinden und das dann auch noch unter Ausschluss möglicher Gefahren für das werdende Kind, ist letzten Endes nicht unter einen Hut zu bringen und zu gewährleisten.
Das Risiko für den Versuch diese Dinge unter einen Hut zu bringen liegt dabei allein beim behandelnden Arzt.
Die Gesamtsituation und die damit verbundenen Konflikte, in der die Patientin sich befindet: Überalterte Dauerprovisorien mit der Notwendigkeit der Neuversorgung zum Erhalt der vorhandenen Zahnhartsubstanz, bei dem Vorliegen einer CMD und bestehender Schwangerschaft ist praktisch nicht in allen Punkten gleichzeitig auflösbar.
Es ist absehbar, dass es hier zu Kollateralschäden kommen wird. Natürlich tut die Patientin alles, um diese Kollateralschäden zu vermeiden und doch befindet sich der behandelnde Arzt in einem Dilemma, das er nicht zu lösen vermag.
Schon gar nicht aus haftungsrechtlicher Sicht des Arztes.
Morgen sucht die Patientin ihre Frauenärztin auf. Wir werden sehen, ob diese bereit ist eine Haftungsübernahme auszusprechen.
Die Mitarbeiterin der Charité war es im Übrigen am heutigen Tage nicht, auch wenn sie sich noch so nett und charmant am Telefon anhörte.
Das ist dann eben der Unterschied zwischen dem, was einem leichtfertig am Telefon erzählt wird und dem, was man dann konkret erfährt, wenn man es gerne schriftlich haben möchte.
Natürlich bekommt man es nicht schriftlich, dass man eine Schwangere innrhalb der Schwangerschaft normal zahnärztlich behandeln könne.