Einblicke in einen Arzthaftungsprozess
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Manchmal benötigen die Dinge ein bißchen Zeit, um sich zu setzen und auch um sie selbst besser verstehen zu können. Der Verfasser hat vor etlichen Wochen an einem deutschen Landgericht die Interessen eines Mandanten vertreten, der ihn, auf speziellen Wunsch seines Rechtsanwaltes hin, als Medizinischen Berater engagiert hat.
Vertreten wird der Patient von einem namhaften deutschen Rechtsanwalt, der darauf Wert legt, dass er kein Medizinrechtler sei, obwohl er in über 30 Jahren über 3500 Medizinrechtsverfahren ausschließlich für Patienten geführt hat. Darunter einen spektakulären Fall aus dem deutschen Spitzensportbereich.
Der Gerichtssachverständige wiederum, man kann schon sagen, hat in bestimmten Kreisen durchaus auch einen Namen.
So weit so gut, und deshalb ebenso schwierig für den Patienten.
Der nämlich beklagt, dass er sich bei einem Behandler, der wiederum damit wirbt im Bereich CMD über eine spezielle Qualifikation zu verfügen, vor etlichen Jahren zur Behandlung vorgestellt habe und man bei ihm, sozusagen aus dem Ärmel heraus, eine CMD diagnostiziert habe.
Die hierzu notwendigen Untersuchungen sind alle nicht durchgeführt, geschweige denn irgendwelche Ergebnisse dokumentiert worden.
Ein Aufbissbehelf führte nicht nur zu keiner Verbesserung der Patientenbeschwerden, sondern verschlimmerte diese sogar noch. Als Zugabe wurde dann noch ein Bionator zeitgleich eingegliedert, der geradezu dazu dienen soll die Stellung der Zähne zu verändern. Wenn man so will also den Biss.
Um es dem Laien einfach zu erklären, denn der Gerichtssachverständige will das nicht so sehen. Der Behandler hat gleichzeitig ein Gerät eingesetzt, dessen ausdrückliches Ziel es war den Biss zu verändern, besagter Bionator. Gleichzeitig wurde bei dem Patienten ein Aufbissbehelf für die Nacht eingegliedert, dessen Zieo darin bestand herauszufinden, ob möglicherweise veränderte Zahnstellungen für die langjährigen Beschwerden des Patienten verantwortlich sein könnten.
Nun sei hinzugefügt, dass der Patient 20 lange Jahre lang, vom Orthopäden bis zum Physiotheraopeuten alles abgelaufen hatte, was ein Patient so zu tun vermag.
Was die ganzen Aktionen bewirken sollten ist vollkommen unklar, und was noch unklarer wird, dass man dem Patienten dann vorgeschlagen hat alle 28 Zähne des Kauorgans mit Keramikteilkronen zu versorgen.
Daraus wurden dann, nach einem internen Behandlerwechsel auf einmal 16 Kunststoffkronen im Seitenzahnbereich und ein verbleibender frontal offener Biss.
Die Beschwerden des Patienten nahmen kontinuierlich zu, was am Ende zu der behandlerischen Feststellung führte nun müsse ein MRT der Kiefergelenke durchgeführt werden.
Nun muss man die hier dargelegten Patientenfälle nur ein bißchen mitgelesen haben, um sehr schnell zu der Meinung zu kommen, dass in der gesamten Behandlung ganz grundlegend etwas nicht stimmen könne.
Der Gutachter windet sich nun in einem Gutachten, einer Gutachtenerweiterung, einem persönlichen Anhörungstermin und in einem weiteren Zusatzgutachten um die ganz einfachen Wahrheiten des Falles herum.
Das geht dann sogar so weit, dass der Gerichtssachverständige auf Nachfrage erklärt, die Untersuchungen einer Klinischen Funktionsanalyse müssten nicht dokumentiert werden und die Vorgaben der Gebührenordnung für Zahnärzte seien allesamt rechtlich nicht bindend.
Ein bißchen kommt man sich da in einem Landgerichtssaal vor, wie in einem Verfahren, in dem es um das Thema "Reichsbürger" geht.
Vor allem dann, wenn ein Gerichtssachverständiger unentwegt fabuliert: Die Lösung des Falles könne nur im Fachübergreifenden" zu suchen sein.
Was damit genau gemeint sein könnte, hat der Patient doch 20 Jahre lang fachübergreifend nach Lösungen gesucht, bleibt so unklar, wie manch andere Ausführung des Sachverständigen.
Lange Rede kurzer Sinn. Der Anwalt hatte vorerst auf 15.000, -€ geklagt und jetzt kommt es, zuzüglich der weiteren, durch die Fehlebehandlung entstandenen Schäden, die, wie in derartigen Verfahren üblich, bisher nicht beziffert werden konnten.
Das Gericht hat einen Vergleich in Höhe von 14.000, -€ vorgeschlagen, was in diesen Kreisen dann als sogenannter "Siegvergleich" beschrieben wird.
Der Beitrag des Verfassers bestand in diesem konkreten Termin darin den Sachverständigen zu befragen, denn das ist das große Problem derartiger Verfahren, wenn der Klägeranwalt seiner langjährigen Erfahrung dahingehend Ausdruck verleiht, dass der Gerichtssachverständige dem Gericht alles Mögliche erzählen kann, wozu selbst e4in versierter Medizinrechtsanwalt nicht wirklich etwas zu entgegnen vermag.
Nun geht es aber erst richtig los, denn es geht um ein ganz heikles Thema in derartigen Verfahren und das besteht in vermeintlichen "Sowiesokosten".
Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Es geht um das Thema, in wie weit später anfallende Behandlungskosten, also im Rahmen der Regulierung des eingetretenen Schadens, vom Vorbehandler, oder vom betroffenen Patienten zu zahlen sind.
Diese Frage ist deshalb so heikel, weil die Folgekosten derartiger Fehlebehandlungen regelmäßig deutlich höher ausfallen, als die ursprünglichen Kosten.
Dabei besteht nachvollziehbarerweise das Bestreben des beklagten Arztes darin den Vorgang damit zu beenden dem Patienten dessen entstandene Kosten zurück zu zahlen, ein wenig Schmerzensgeld, wie in Deutschland üblich und dann mit der Sache abschließen zu können.
Der Patient hingegen hat ein gänzlich anderes Interesse.
Der möchte nämlich seine Beschwerden loswerden, deren Beseitigung sich nun auf einmal als erheblich aufwendiger darstellt, als ursprünglich angenommen.
Für den Patienten noch schlimmer: Er trägt die Beweislast, hat selbst aber praktisch nichts in der Hand.
Die Beweise für eine mögliche Fehlbehandlung hat nämlich ausschließlich der Arzt unter seiner Kontrolle.
Und jetzt wird es juristisch.
Deshalb kommt der ärztlichen Dokumentation ein hoher Stellenwert zu, denn der klagende Patient hat nichts anderes, als die ärztliche Dokumentation, um ein Fehlverhalten des beklagten Arztes zu beweisen.
Und jetzt kommt die Pflicht des Arztes, alles was er bei dem Patienten getan hat so zu dokumentieren, dass man daraus nachzuvollziehen vermag, was der Arzt getan, oder eben auch pflichtwidrig unterlassen hat.
Wenn der Arzt nun aber nichts getan hat, was er dem Medizinischen Standard folgend hätte tun müssen, oder aber das, was er getan hat nicht dokumentiert hat, dann hat primär erst mal der Patient ein Problem, denn dem fehlen die Unterlagen um seiner Beweislast nachzukommen.
Nun wäre es aber zu einfach zu glauben, damit sei der Arzt aus dem Schneider.
Jetzt nämlich fordert der klagende Rechtsanwalt die Einräumung der sogenannten Beweiserleichterung.
Bei all diesen Unwägbarkeiten spielt nun der Gerichtsachverständige eine ganz entscheidende Rolle.
Die Auffassung des Sachverständigen besteht nunmehr darin dem Gericht darzulegen, innerhalb welchen Grenzen der denkbaren, medizinischen Behandlungen, sich der sogenannte "Medizinische Standard" erstreckt.
Tatsächlich machen Gerichtssachverständige häufig aber etwas ganz anderes. Nämlich ihre eigene fachliche Beschränktheit zur Richtschnur ihres Gutachtens.
Häufig erklären Sachverständige qua Amtes ihre eigene Vorgehensweise zum Gradmesser ihrer Beurteilungen. Wenn es ganz schlimm kommt, haben wir auch schon erlebt, erfinden Sachverständige neue Verfahren, mit denen sie irgendetwas beweisen wollen, was letztendlich nicht zu beweisen ist.
Es gibt dann im Prinzip zwei grobe Richtungen.
Zum einen Sachverständige, die dem Arzt irgendetwas anhängen wollen. Das kommt besonders dann vor, wenn der Sachverständige meint, nun käme Bayern München zu seinem Dorfverein und jetzt zimmern wir mal das Bayern München Tor doppelt so große, wie das eigene.
Dann gibt es aber auch Sachverständige, das mag in dem einen oder anderen Fall im Zusammenhang mit sogenannten Klüngeleien zusammen hängen, die regerecht versuchen dem beklagten Arzt helfen zu wollen, und wenn man die Fakten biegen muss, bis sie brechen.
Mit einem derartigen Fall haben wir es hier zu tun. Dabei muss man immer ein wenig im Kopf haben, je spezialisierter ein bestimmter Fachbereich ist, umso enger sind mögliche Verflechtungen. Das kann dann so weit gehen, dass der beklagte Arzt Fortbildungen bei dem gerichtsgutachtenden Arzt absolviert hat.
In aller Regel kennt man sich.
In diesem Verfahren kommt noch hinzu, dass der Patient bei einem namhaften Vorbehandler war, der ebenso vorschnell und ohne jede nachvollziehbare, geschweige denn belegbare Untersuchungen bereits im Vorfeld die Diagnose CMD getroffen hatte, so dass die gebetsmühlenartig vorgetragene Argumentation des Gerichtssachverständigen auf Vorhaltungen lautete, dass ja schließlich ein noch namhafterer Kollege, der seit vielen Jahren ein Amt in einer Fachgesellschaft ausübe doch schließlich die gleiche Diagnose im Vorfeld gestellt habe.
Nun gibt es Zeitgenossen, die ernsthaft glauben, ein Zahnarzt werde deshalb Präsident einer Zahnärztekammer, weil er ein besonders begnadeter Zahnarzt sei. Das sind dann auch Gutachter, die meinen, weil ein anderer Fachkollege besonders in einer Fachgesellschaft tätig sei, spräche das schon für eine hervorgehobene n berufliche Qualifikation.
Darüber muss sich der Leser eine eigene Meinung bilden.
Man darf jedenfalls gelinde gesagt Zweifel daran haben, dass Herr Prof. Lauterbach deshalb Gesundheitsminister geworden ist, weil er in seinem Vorleben ein ganz besonders begnadeter Arzt gewesen ist.
Es mutet dann schon sonderbar an, wenn in einem derartigen Gerichtstermin dann Dinge wie "name dropping" geschehen, um die Ansichten des Gerichtssachverständigen zu untermauern.
All diesen Dingen steht der für den Patienten tätige Rechtsanwalt ein wenig hilflos gegenüber, denn ihm fehlt schlichtweg das notwendige Expertenwissen, um einem derartigen Sachverständigen Paroli bieten zu können.
Dass sich der bisherige Aufwand gelohnt hat, wird an der abschließenden Feststellung des Klägeranwaltes deutlich, der ganz unverhohlen zu der Erkenntnis kommt, dass er alleine heute nicht nur keinen Siegvergleich zustande gebracht hätte, sondern den Prozess vermutlich sogar verloren hätte, weil sich der Gerichtssachverständige als überaus eloquent präsentiert hat.
Ein kleiner Hinweis am Rande. Je länger den Gerichtssachverständige auf klare Vorhaltungen parliert, schlichtweg um die Zeit tot zu schlagen, umso weniger Substantielles steckt hinter dessen Ausführungen.
Richtig kriegsentscheidend wird es aber jetzt erst, wenn es nämlich um die bisher nicht bezifferten Forderungen des Patienten bzgl. der ihm entstehenden Nachfolgebehandlungen geht, die der Gerichtssachverständige einfach als sogenannte "Sowiesokosten", und das zu Nachteil des klagenden Patienten abgetan hat.
Der Denkfehler des Gerichtssachverständigen besteht nämlich darin, dass alle seine Spekulationen, bzgl. des Zustandes des klagenden Patienten, in welchem Zustand sich dieser, zu Beginn der Behandlung beim beklagten Arzt vorgestellt hatte, zwar on diesem zu beweisen sind.
Das würde aber voraussetzen, dass der beklagte Arzt den Patienten zu Beginn dessen Behandlung sachgerecht untersucht und die Ergebnisse dieser Untersuchungen auch dokumentiert hätte.
Genau derartige Dokumentation aber liegt nicht vor und wird auch nicht behauptet.
Und wenn dann der beklagte Arzt, unterstützt durch den Gerichtssachverständigen dem Gericht die rührige Geschichte verkaufen will, die Erbringung einer Instrumentellen Bewegungsanalyse entspräche dem Inhalt einer Klinischen Funktionsanalyse und es sei dem Behandler freigestellt, was er denn nun davon erbracht habe und ob er das überhaupt zu dokumentieren habe, dann darf man schon gespannt sein auf die nächste Befragung eines Gerichtssachverständigen, der auch die Auffassung vertritt, CMD sei schon im Alten China bekannt gewesen. Damals habe die Erkrankung nur einen anderen Namen gehabt und man habe sie mit Akupunktur und Traditioneller Chinesischer Medizin erfolgreich behandelt.
Dumm nur, dass der Sachverständige sich vorhalten lassen musste, dass zumindest in Deutschland der Begriff CMD erst seit 2016 eindeutig klassifiziert worden ist.
Aber, wen interessieren schon Fakten! Und das noch vor Gericht.
Im weiteren Verlauf wird es nun darum gehen zu belegen, dass die Nachfolgekosten eben keine sogenannten "Sowieoskosten" darstellen, weil nämlich nicht einmal klar ist, ob der Kläger zu Beginn der Behandlung beim Beklagten überhaupt an einer CMD gelitten hat, denn wie der interssierte Leser hier nachzulesen vermag, ergibt sich die Diagose einer CMD eben gerade nicht aus dem Vorliegen bestimmter, vielleicht sogar typischer Symtpome einer CMD, sondern aus dem Nachweis der Kausalität zwischen beschriebenen Beschwerden und vorhandener Störungen der Okklusion.
Nun gibt es inzwischen eine Stellungnahme des Rechtsanwalts.
Und jetzt prallt mal wieder das volle Leben auf die juristische Realität.
Der Patient hat jetzt die Möglichkeit den für ihn günstigen Vergleich mitzunehmen, oder sich auf ein Urteil einzulassen, das sicherlich nicht wesentlich anders ausfallen dürfte.
Allerdings hat der Patient bei Eingehen eines Vergleiches keine Möglichkeit mehr klägerisch vorzugehen, denn das ist ja der Sinn eines Vergleiches, der auch alle denkbaren Folgeschäden miteinschließt.
Problem des Rechtsanwaltes und nun rächt sich vielleicht die Vorgehensweise sich das Gericht eine Auffassung zu Gunsten des Patienten, basierend auf den falschen Angaben des Gerichtssachverständigen, bilden haben zu lassen. Denn genau das ist in dem Termin passiert.
Man hat bestimmten Angaben des Sachverständigen nicht widersprochen, um die Urteilsbildung des Gerichts nicht zu gefährden, obwohl man wusste, dass das Gericht sich aus ganz falschen Gründen ein richtiges Urteil bildete. 14.000, -€ von 15.000, -€ Klagesumme sind ja ein ganz deutlicher Hinweis, was das Gericht sich so gedacht hatte.
Was in diesem Moment aber noch nicht so ganz überschaubar schien, dass es eine ganz erhebliche Meinungsdifferenz bezüglich der sogenannten Sowiesokosten der Nachbehandlung gab, die auch in dem Termin nicht ausgeräumt wurde, jetzt aber sehr wohl Gegenstand des Vergleiches werden wird.
Denn der erfahrene Rechtsanwalt weist natürlich zurecht darauf hin, dass das gleiche Gericht, möglicherweise mit denselben Richtern auf denselben Gutachter zurückgreifen wird.
Nun wird das Gericht in einer möglichen Folgeklage kaum eingestehen, dass die Argumente des Sachverständigen, zwar allesamt falsch waren, aber dazu führten, dass der klagende Patient gegen seinen vorbehandelnden Zahnarzt gewonnen hat.
Letzten Endes sind das Entscheidungen, die nur der Patient treffen kann. Es sind Abläufe wie diese, die zu der Erkenntnis führen, dass es vor Gericht gelegentlich wie auf hoher See oder in Gottes Hand sei, was dort geschehe.
Was man noch am ehesten bemängeln könnte ist ein Sachverständiger, der ausschließlich seine eigenen Ansichten zum Gegenstand seines Gutachtens gemacht hat und ein Gericht , das sich die Argumente gesucht hat, um dem Patienten einen guten Vergleich zu verschaffen, aber letztlich gar nicht wissen wollte, wie es eigentlich alles hätte richtig ablaufen müssen. Und zwar richtig, im Sinne der Wahrung des Medizinischen Standards. Nur wo der lag, wollte das Landgericht und dessen Richter gar nicht wissen.