Der dramatische Fall einer Patientin aus dem Münsterland
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Es gehört zum guten Ton der Kollegen stets nur ihre Paradefälle darzustellen. Wenn überhaupt.
Hier ein Fall, der nicht nur an den Nerven der betroffenen Patientin zehrt und das auch nicht nur in der Arbeitswoche.
Nun dachten wir, wir würden endlich weiterkommen, jedenfalls bis gestern.
Dann meldete sich die Patientin am Sonntag und berichtete, dass der gezielte Einsatz muskelentspannender Medikamente, die wir sonst nie einsetzen, den großen Druchbruch gebracht hätte.
Weit gefehlt. Der Patientin geht es absolut dreckig.
Nun werden immer wieder extreme Schmerzen aus dem Bereich der Wangen beschrieben.
Was ist dort?
Muskeln!
Kieferknochen!
Zähne, die im Kifereknochen stecken!
Gibt es dort sonst noch etwas? Gefäße, Nerven, Schleimdrüsengänge. Alles Strukturen, die nicht dafür bekannt sind derart schwere Schmerzsymptomatiken auszulösen.
Und doch ist es so.
Was haben wir inzwischen geprüft?
1. Die Okklusion! Spielt mit Sicherheit eine Rolle, aber scheinbar nicht die entscheidende, was diese Symptomatik betrifft.
2. Die Kiefermuskulatur. Inzwischen medikamentös relaxiert auch durch Eigenmassage der Patientin. Bisher keine Wirkung!
3. Es bleiben, bei sachlicher Betrachtung: Die Zähne, die im Kieferknochen stehen. Bisher gibt es weder radiologisch noch klinisch einen konkreten Hinweis auf eine oder mehrere Pulpitiden, möglicherweise als Folge der misslungenen erwachsenenkieferorthopädischen Behandlung. Gesteigert erscheinen die Beschwerden zudem, nach Entfernung der Dauerretainer im Oberkiefer- und Unterkieferfrontzahnbereich.
So beginnt der heutige Besuch der Patientin mit einer Erstellung mehrerer Einzelröntgenfilme, der betroffenen Seitenzähne.
Nun sind wir einen Schritt weiter.
In Einzelzahnfilmen zeigt sich an Zahn 26 eine periapikale Aufhellung.
Eine ausgeprägte Perkussion eribt, dass die Patientin bei beklopfen des Zahnes 26 eine Steigerung ihrer Schmerzen im Bereich der linken Wange erfährt.
Nach längerer Abwägung und Beratung wird Zahn 26 unter Cofferdam eröffnet.
Hier zeigt sich nun das, worauf man gehofft hatte.
Obliterierte Wurzelkanäle, aus denn kein Blut kommt, sondern mumifizierte Zahnnerven aus allen drei Kanälen.
Es erfolgt eine Wurzelkanalbehandlung und die bange Frage, ob es noch mehr derartige, chronisch pulpitische Zähne bei dieser Patientin gibt?
Hinzu kommt, dass die örtlichen Gegebenheiten schon an Zahn 26 derart unungüstig und beengt sind, darüber hinaus die Wurzeln irreguläre und abgeknickte Verläufe zeigen, dass man ernsthaft die Frage aufwerfen muss, ob es in der Gesamtbetrachtung, sollten sich noch weitere Zähne als chronisch pulpitisch herausstellen, überhaupt technisch machbar ist Zähne, die noch weiter distal liegen, erfolgreich endodontisch zu behandeln.
Das aber sind alles Fragen von morgen!
Jetzt zählt erst einmal das heutige Ergebnis, weil diese Erkenntnisse zum ersten Mal einen konkreten Anhaltspunkt für die extremen Beschwerden der Patientin liefern.
Die Patientin hat mit Sicherheit eine schwer und behandlungsbedürftie, dysgnathe Bisslage.
Die Patientin hat aber eben auch zahnbezogene Probleme, bei denen zur Zeit nicht klar ist, in welcher Anzahl, mit welchen Behandlungsmöglichkeiten und welchen Folgewirkungen hier behandelt werden kann und muss.
Mit Angst und Bedenken kommt man hier jedenfalls nicht weiter und wäre nicht einmal bis hierhin gekommen.
Das Problem, das wir heute aufgcekt haben, bestand mit Sicherheit schon längere Zeit, auch während einer Schienenbehandlung in Münster.
Am Ende sind das dann alles Dinge und Abwägungen, die die Patientin entscheiden muss und es wird möglicherweise noch einige harten Wahrheiten geben, die außerhalb des üblichen "Wünsch-Dir-Was-Programms" liegen, mit denen heute allerorten gearbeitet wird und in diesem Fall nicht gearbeitet werden kann.
Sehr intensiv wurde auch über die vermeintlichen Fachleute diskutiert, die hinterher alles besser wissen und gar nicht verstehen können, dass man diesen Fall nicht einfach im Handumdrehen lösen konnte.
Wir erleben gerade eine Patientin vor dem Landgericht in Köln, in der eine Universitätsprofessor aus Gießen eine Behandlung, die alle namhaften Fachleute im Köln-Düsseldorfischen Raum über Jahren hinweg ergebnislos beschäftigte, bis die Patientin nichts mehr essen konnte, dann hier in Kiel gelöst werden konnte und die Versicherung meint, für eine 50 jährige Privatpatientin hätten doch auch zwei Plastikprothesen gereicht.
Es gehört leider auch zu den Realitäten, dass es immer wieder universitäre Berufskollegen gibt, die in der Woche drei Patienten behandeln, hinterher ales besser wissen. Dabei eingebaut die Perspektive von oben nach unten haben, weil sie mal vor 30 Jahren eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt haben, mit der sie dann zu ihrem Professorentitel gekommen sind und danach nur noch dumm rumschwätzen. Nein, wie sprechen hier jetzt mal nicht von Prof. Karl Lauterbach.
Die Patientin ist im Übrigen schon wieder auf dem Weg ins Münsterland.
So sieht ein abgestorbener Zahnnerv aus.
Teilmumifiziert und in einem Stück aus dem Wurzelkanal entfernbar.
Deshalb blutet auch nichts, wenn man zum trepanieren in den Zahnnerv hinein bohrt.