CMD-Patient aus der Region Peine erscheint notfallmäßig
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Morgens ein Anruf. Der Patient habe die ganze Nacht nicht geschlafen und habe den Eindruck seine Okklusion habe sich verändert.
Inzwischen sitzt der Patient im Auto und ist in ca. 3 Stunden in Kiel.
Was kann man nur allein aus diesen wenigen Informationen schließen?
Dass es sich, zumindest aus der Sicht des Patienten, um ein hochdramatisches Ereignis handeln muss.
Was würde nun der "normale Zahnarzt" tun? Die Okklusion prüfen, nach Kriterien, die nirgends exakt definiert sind.
Genau das ist nämlich die Wahrheit. Nirgends steht nämlich wie und vor allem wie genau ein Biss eigentlich eingestellt werden muss.
Stattdessen hat sich seit 2019 ein neues Krankheitsbild etabliert, immer noch weitgehend unbekannt, aber nichts anderes, als einfach "neu erfunden", so muss man das bezeichnen.
Definiert ist dieses Erkrankungsbild, als sogenannte "Okklusale Dysästhesie". So kann man es in der S-1-Leitlinie der AWMF nachlesen, Registernummer: 083-037
6 Diagnostik
6.1 Diagnostik der okklusalen Dysästhesie
Die OD ist ein Beschwerdebild, bei dem Zahnkontakte dauerhaft als störend oder unangenehm empfunden werden. Der klinische Befund der Okklusion steht in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu Inhalt und Stärke der beklagten Beschwerden. Die Patienten leiden unter einer starken psychosozialen Belastung [33, 44, 61].
Patienten mit OD berichten oft von multiplen Vorbehandlern, die jeweils erfolglos versucht hätten, die Okklusion „vernünftig einzustellen“ [33, 61]. Viele bringen ältere Zahnmodelle oder sogar Artikulatoren mit, um ihr Anliegen zu erläutern [33, 41, 60, 61].
Nun stellen sich angesichts des oben beschriebenen zwangsläufig folgenden Fragens:
Was ist denn störend oder unangenehm? Kann man das messen, und wenn ja, wie?
Was bedeutet dauerhaft?
Was ist denn eine psychosoziale Belastung und was eine Starke? Wie misst man das? Gibt es Menschen ohne psychosoziale Belastung?
Wenn ein Patient viele (multiple) Vorbehandler aufgesucht hat, die möglicherweise in dem Thema keine Behandlungserfahrung besitzen, spricht das dann für eine OD?
Was ist denn eine "vernünftige Einstellung" der Okklusion, wenn gar nicht klar definiert ist, wie und mit welchen Werten eine Okklusion eingestellt sein muss, damit eine OD ausgeschlossen werden kann.
Schon bei einer oberflächlichen Betrachtung fällt auf, dass nicht nur das Erkrankungsbild, das es vor 2019 nicht gab, im Sinn einer Wischi-Waschi-Beschreibung definiert ist, sondern sich praktisch jeder Zahnarzt seine eigene Definition zurechtlegen kann.
Aber, es geht noch weiter:
Der klinische Befund steht in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu Inhalt und Stärke der beklagten Beschwerden. Die Patienten leiden unter einer starken psychischen und psychosozialen Belastung [33, 44].
Was aber ist denn ein nachvollziehbares Verhältnis zwischen nicht definierten Passungen der Okklusion und Inhalt und Stärke der beklagten Beschwerden?
Wer legt das fest?
ist bei einem Zahnarzt, der gelegentlich mal eine Krone eingliedert, die nicht so richtig passt das nachvollziehbare Verhältnis ein anderes, als bei einem CMD-Behandler, der statische und dynamische Okklusion bis in den Bereich von einigen Mikrometern einstellt?
Weiterhin interessant:
Eine OD kann nur im Wachzustand wahrgenommen werden [60]. Sie kann isoliert oder ‒ häufiger ‒ als Komorbidität einer kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) auftreten [15, 23, 29, 36, 37, 38, 53].
Dieser Punkt ist deshalb interessant, weil der typische CMD-Patient ja auch ein Patient ist, der sehr sensibel auf okklusale Störungen/Veränderungen reagiert!
Nur mit dem Unterschied und jetzt kommt eben das Problem, dass bei dem CMD-Patienten die Lösung seines Problems im Bereich der Okklusion verortet ist, bei der Okklusalen Dysästhesie hingegen aber ganz woanders.
Patienten mit OD sind regelhaft psychosozial belastet, haben eine geringere Anpassungsfähigkeit hinsichtlich Veränderungen an den Zähnen und weisen häufig eine der Diagnosen Depression, Angststörung oder somatische Belastungsstörungen bezogen auf andere Körperorgane auf [23, 29, 33, 40, 53, 75].
Die OD erfüllt die Kriterien einer „somatischen Belastungsstörung“ (Code 300.82) [11, 17, 56, 62] nach den in der fünften Auflage des diagnostischen und statistischen Leitfadens psychischer Störungen (DSM-5) festgelegten Kriterien. Die Patienten beklagen Belastungen im Alltag seit über sechs Monaten und sind kognitiv (übertriebene Gedanken zur Bedeutung) und/oder emotional (hohes Angstniveau) und/oder in ihrem Verhalten (exzessiver Zeitaufwand zur Behandlung der Okklusion) belastet [5].
Was im Klartext wiederum bedeutet: Fällt die Diagnose OD, für sich alleine, dann sieht es für den betroffenen Patienten in aller Regel schlecht aus.
Der Zahnarzt ist dann definitionsgemäß nicht mehr sein Ansprechpartner, sondern der Psychiater.
Ob wir nun schon mal davon gehört hätten, dass ein solcher Patient im Rahmen einer sogenannten "Verhaltenstherapie" von seinen Beschwerden befreit worden wäre?
Das haben wir noch nie gehört und es gibt diesbezüglich auch keine Fallberichte oder wissenschaftlichen Untersuchungen.
Möglicherweise auch deshalb, weil die gesamten Vorgaben alle derart schwammig sind, dass man die notwendigen Aspekte überhaupt nicht zu greifen bekommt.
Für den Zahnarzt ist das jedenfalls eine tolle Entwicklung, denn wenn sein Patient im Verlauf einer zahnärztlichen oder noch besser kieferorthopädischen Behandlung derartige Beschwerden entwickelt, dann stellt der Behandler einfach fest, dass:
Der klinische Befund in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu Inhalt und Stärke der beklagten Beschwerden steht!
Schon ist er das Problem los und der Zahnarzt/Kieferorthopäde aus der Haftung raus!
So einfach kanns gehen.
Ob das von den "Erfindern" der Okklusalen Dysästhesie so gedacht war, werden wir vermutlich niemals erfahren.
Dass hier ein Erkrankungsbild mit einer schwammigen Definition erschaffen wurde, dass dem Patienten nicht hilft, dem Behandler hingegen aber schon, dürfte hinreichend klar geworden sein.
Was nun diesen Fall betrifft:
Okklusale Korrekturen führen in jedem Fall wieder zu einer Veränderung und Verbesserung des Beschwerdebildes des Patienten.
Die Frage, warum sich die Okklusion im Mikrometermaßstab bei diesem Patienten relativ schnell ändert können wir nicht beantworten, weil wir nicht mal wissen, in welchem Maßstab d warum sich bei Menschen die Okklusion verändert. Auch hierzu gibt s keine Untersuchungen und Studien und wird es vermutlich auch niemals geben.
Was es aber gibt, sind Kollegen, gerne als Gutachter unterwegs, die zwar auch nicht um all die hier angesprochenen Dinge wissen, aber stets wissen, was man angeblich anders oder besser hätte machen können.
Diese Kollegen selbst machen das selbst natürlich nie. Das ist so ähnlich wie in der großen Politik. Da reden ja auch in aller Regel Leute über die Probleme des arbeitenden Volkes, die sie selbst gar nicht haben, weil sie entweder keinen Beruf und kein Studium absolviert haben, aber dafür über die richtige Haltung und Ideologie verfügen.
Die Wahrheit ist aber eine ganz andere:
Es hängt offensichtlich und für jeden Laien verstehbar davon ab, ob der Behandler über ausgeprägte eigene Erfahrungen und vor allem über konkrete Maßzahlen verfügt, mit denen er den Biss, d.h. die Okklusion seiner Patienten systematisch einstellt. Denn eines steht ebenso fest: Konkrete metrische Vorgaben für diese Einstellungen gibt es nicht, so dass es jedem Behandler selbst überlassen bleibt, was er als:
nachvollziehbares Verhältnis zu Inhalt und Stärke der beklagten Beschwerden zu vorhandenen Störungen der Okklusion
betrachtet.
Was also für den einen Behandler A eine CMD darstellt ist für den anderen Behandler B: eine Okklusale Dysästhesie.
Unterschied für den Patienten:
Behandler A führt eine okklusale Maßnahme durch, die dem Patienten eine Beschwerdelinderung/beseitigung verschafft!
Behandler B schickt den Patienten zu einem Verhaltenspsychologen/Psychiater und der tut? Nichts! Worauf der Patient noch mehr Beschwerden entwickelt, was das Verhältnis zwischen Beschwerden und Okklusion noch weniger nachvollziehbar erscheinen lässt. Also die Diagnose OD bestätigt!
Schlecht für die Patienten, die bei Behandler B sind. Und die dürften in der absolut überwiegenden Mehrzahl sein, was in der heutigen Zeit, da sich alles und jedes an der Anzahl der Likes bemisst, dann als die Neue Wahrheit etablieren dürfte.
Es wird eben doch nicht alles besser!